Eines meiner größten Abenteuer während meiner Zeit in Chile war die Geologie-Kartierung in der Atacamawüste, die trockenste Wüste weltweit. Im Rahmen meines Auslandsstudiums hatte ich die fantastische Gelegenheit, ein Gebiet innerhalb der Wüste zu kartieren. Es waren zwei sehr abenteuerliche Wochen mit zahlreichen Eindrücken. Nie zuvor habe ich so sternenklare Nächte erlebt und auch die Sonnenuntergänge zählen zu den schönsten, welche ich je gesehen habe. Ein kurzer Bericht:
Aufgeregt komme ich mit meinen Mitbewohner Juanin am Abfahrtsort an. Seit zwei Monaten studiere ich an der Universidad de Concepción Geologie und nun geht es zur ersten Exkursion: zwei Wochen kartieren in der Atacamawüste.
Viele Studenten warten schon, mit vollgepackten Rucksäcken. Auch Sonja ist bereits da, Pablo hat sie begleitet. Sonja kommt aus Jena und wir studieren dieses Semester zusammen Geología. Alle reden aufgeregt durcheinander, einige kaufen sich noch etwas Wasser für die Busfahrt am anliegenden Stand. Die Busse treffen ein, das Gepäck wird verstaut. Die Reisestimmung kommt auf. In Gedanken überfliege ich nochmal die Liste ob ich etwas vergessen habe und atme tief durch.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Abenteuer Atacamawüste – Abfahrt um 19 Uhr in Concepción
- 2 Abenteuer Atacamawüste – 12 Uhr Ankunft am Campamento
- 3 Abenteuer Atacamawüste – der Kartieralltag beginnt
- 4 Abenteuer Atacamawüste – wie kartiert wird
- 5 Abenteuer Atacamawüste – vor allem das Sammeln von Fossilien macht Spaß
- 6 Arbeiten bei hoher Trockenheit
- 7 Die Abende im Campamento
- 8 Ereignisreiche Tage
Abenteuer Atacamawüste – Abfahrt um 19 Uhr in Concepción
Um 19 Uhr fahren die Busse ab, Nícolas ist mein Sitznachbar. Eltern und Freunde stehen draußen im Kalten und winken uns zu. Es wird rasch dunkel, im Bus wird der Film „World War Z“ gezeigt, eine Art Abklatsch von „28 days later“. Die nachtblaue Landschaft rast kalt an uns vorbei, nach „The killing Jar“ versuchen wir alle zu schlafen. Es geht nach Norden, unser Kartiergebiet liegt ~25 km nordöstlich von Vallenar am südlichsten Zipfel der Atacamawüste, nahe Chehueque. Bisher kenne ich dieses Gebiet nur aus Dokumentationen und jetzt dürfen wir dort kartieren, in der trockensten Wüste weltweit. Manchmal ist das Leben eben doch ein Wunschkonzert.
Gegen 8 Uhr morgens frühstücken wir an einer Raststelle: palta (Avocado), pan (Brot), tomate, manzana (Apfel), naranja (Orange) und yogur (Joghurt). Wir ahnen schon, dass es das künftige Mittagessen für die Geländetouren ist. Wir frühstücken im Kreis, um uns versammeln sich drei Straßenhunde und warten auf Essensreste. Jemand mag seinen atún (Thunfisch) nicht, doch die Hunde lieben ihn. Danach geht es weiter Richtung Vallenar. Die Landschaft verändert sich, die Vegetation wird immer spärlicher und scheint sich nur noch auf kniehohe Büsche bzw. Kakteen zu beschränken. Karg bewachsene, steinige Hänge und Hügel bestimmen das Landschaftsbild.
Abenteuer Atacamawüste – 12 Uhr Ankunft am Campamento
Um 11:53 kommen wir am „Campamento“ an, unser Lager also. Unterwegs fahren wir an der „Mina la Cobre“ vorbei, die Landschaft wird hügeliger. Zuerst werden die Zelte und das Lebensmittellager aufgebaut, die Sonne brennt bereits erbarmungslos. Toiletten gibt es keine, dafür aber zwei Hügel: einer für die Jungs und ein anderer für die Mädels. Vom Jungenhügel hat man den schöneren Rundumblick.
Das Campamento liegt in einer Senke, von rötlichen Hügeln umgeben. Bei dem Gestein handelt es sich um Andesit, ein chilenisches Nationalgestein vulkanischen Ursprungs. Die rötliche Farbe kommt wohl duch den Eisengehalt zustande.
Es ist steinig, ich stürze auf Weg zum Top des Hügels fast in den erstbesten Kaktus. Unter manchem Stein lugt Toilettenpapier hervor, ein Überbleibsel vorheriger Besucher. Von oben habe ich einen Rundumblick, ich erkenne die Zelte des Campamentos. Jeder hat offenbar sein eigenes Zelt mitgebracht, so kann niemand den anderen anstinken.
Später werden Paulo und Felipe von Carolina rasiert und einige sind auch schon ganz wild darauf, auch mir die Haare zu schneiden. Gegen 19 Uhr senkt sich die Sonne den Horizont entgegen und taucht einige Hügel in ein orange-goldenes Licht. Es weht ein angenehm kühler, trockener Wind. Professor Quinzio sagt, dass es ab 21 Uhr deutlich kühler sein wird. Nach den Abendessen spielen wir an den aufgestellten Tischen UNO, Wein steht in Pappkartons bereit. Die Temperaturen fallen unter 10°C.
Abenteuer Atacamawüste – der Kartieralltag beginnt
Am nächsten Morgen beginnt der Kartier-Alltag. Um 6:53 stehe ich auf, die Plane des Zeltes klebt auf meinem Gesicht. Jemand hat zum Spaß die Heringe herausgezogen.
Es gibt am Lager noch ein kurzes Frühstück: Rührei, Brot, Marmelade und Tee. Müde Gesichter schauen mich an, nur Roca grinst mir breit entgegen, ob er das wohl war mit den Heringen? Danach wird Wasser am Kanister abgezapft, für jeden stehen 1.5l Trinkwasser pro Tag zur Verfügung. Ich nehme aber an manchen Tagen heimlich 3 Liter, weil ich nicht so enden will:
Die Kleiderordnung im Gelände: Wanderstiefel, ein Hut mit Krempe, ein langärmeliges Hemd, eine Warnweste. Alle bereiten sich vor, Prof. Quinzio schreit quer über den Platz „Vamos“ und um 8 Uhr sitzen fast alle im Bus, dann geht es ab ins Gelände. Einige haben es nicht rechtzeitig geschafft, sie laufen den Bus für die ersten Hundertmeter keuchend hinterher. Das Kartiergebiet hat eine Fläche von etwa 180 km², kartiert wird in 5-6er Gruppen.
Abenteuer Atacamawüste – wie kartiert wird
Das Kartieren ist eine klassische Geologenarbeit: zunächst wird vor Ort der Punkt in der Karte vermerkt. Es wird mit dem Geologenhammer geklopft, die vorkommenden Gesteine werden bestimmt. Proben werden eingesammelt, beschriftet und verpackt. Die geologische Situation wird erörtert und diskutiert, es werden Zeichnungen angefertigt und gegebenenfalls Profile aufgenommen.
Es werden Fotos gemacht, mit Größenvergleich. Abstände werden vermessen. Mit dem Geologenkompass werden die Orientierung des Gesteins und evt. vorliegende Störungen gemessen. Eventuell interessante Minerale werden in die eigene Tasche gestopft, besser in die Vitrine als in den Probenbeutel.
Bestimmte Fragen müssen vor Ort geklärt werden: Was ist hier passiert? Welches Gestein liegt vor und warum? Bei mehreren Gesteinen: welches ist das ältere Gestein, welches ist das jüngere? Gab es denn tektonische Bewegungen, also kam es zu Auf-, Ab- oder Seitenverschiebungen? Welche Orientierung haben die vorliegenden Gesteine? Welche Minerale sind anzutreffen? Gibt es Fossilien und wenn ja, welche?
Wir treffen auch auf Minen bzw. angelegte Schurfe, hier gelten die folgenden Fragen: Welche (Erz-)Minerale kommen vor, in welchem Gestein treten sie auf? Wie tritt das Mineral auf, kommt es z.B. in Adern oder in Lagen vor? Finden sich die Mineralien hauptsächlich im Bereich von Störungszonen?
Abenteuer Atacamawüste – vor allem das Sammeln von Fossilien macht Spaß
Für mich sind die Tage eine reine Freude. Quasi nebenbei lerne ich unglaublich viel über die Geologie von Chile. Manchmal finden sich auch schöne Fossilien. An einen Tag sollen wir ein Profil von den Kalksteinsequenzen aufnehmen, doch ich bin nur mit den Sammeln von Ammoniten beschäftigt. Mit schwerem Rucksack kehre ich zum Bus zurück, wo mich Prof. Quinzio angrinst und fragt, ob ich auch noch einige Ammoniten für die Studenten im nächsten Jahr zurückgelassen habe.
Wir fahren von Punkt zu Punkt, die Karte wird mit zunehmender Dauer ergänzt und letztlich vervollständigt. Es werden mehr und mehr Proben, jeden Tag. Der Kofferraum erscheint nach 5 Tagen förmlich vollgestopft. Mittagessen gibt es immer zwischen 13 und 14 Uhr nachmittags. Es gibt Avocado mit Tomate, Zitrone, Apfel und Thunfisch oder Chorizos (Meeresfrüchte).
Arbeiten bei hoher Trockenheit
Die Sonne scheint sehr stark, schattige Plätze sind selten. Am höchsten sind die Temperaturen zwischen 14 und 17 Uhr. Schnell stelle ich fest, dass eine größere Hutkrempe praktisch wäre. Ich verbrenne mir trotz Hut und Sonnencreme Nase und Ohren. Das Taschentuch, welche ich erst vor einer Stunde benutzt habe, ist schon wieder staubtrocken. Als ich „Que calor“ ausrufe, erwidert Professor Quinzio trocken „morgen mehr“.
Kakteen finden sich überall, in allen möglichen Formen. Einer erinnert mich lustigerweise an einen Mann, der vor seiner Frau in die Knie geht und einen Heiratsantrag macht. Vorsicht ist aber geboten: oft sind die Stacheln auch mit heimtückischen Widerborsten versehen und mitunter etwas giftig. Victor hat einige Tage nach seinem Sturz kaktusgrüne Pusteln auf den Handflächen.
In der Regel kommen wir abends gegen 18 Uhr im Campamento an. Viele schlafen auf der Rückfahrt im Bus und werden dabei fotografiert. Dabei entstehen manchmal sehr lustige Fotos, mich hat z.B. Fernanda erwischt:
Die Abende im Campamento
Mauricio und seine Gehilfen haben in der Zwischenzeit das Abendessen am Campamento vorbereitet und Einkäufe erledigt. Für jeden steht ein 5l Wasserkanister bereit, Mauricio füllt diese bei Bedarf tagsüber in der Stadt auf. Mit den Kanister komme ich für 3-4 Tage aus (duschen, Zähne putzen). Alle verschwinden nacheinander hinter den Hügel zum Duschen. Wenn man den Kanister in der Sonne stehen lassen hat, ist das Wasser sogar warm.
Abendbrot gibt es in der Regel um 20 Uhr. Mauricio kann unglaublich gut kochen und zaubert jeden Tag etwas Leckeres und Schmackhaftes auf den Tisch. Chilenischer Wein steht bereit, an manchen Abenden gibt es auch Cristal Bier. Viele fragen mich die ganze Zeit, wann ich mir endlich auch mal die Haare rasieren lasse. So habe ich mich nach der ersten Woche überreden lassen:
Ereignisreiche Tage
Für mich vergeht die Zeit wie im Flug, es sind unglaublich ereignisreiche Tage voller neuer Erfahrungen. Die kargen und weiten Wüstenlandschaften beeindrucken mich jeden Tag auf´s Neue. Vorher habe ich noch nie vom Küstennebel „Camanchaca“ gehört, der in der aufgehenden und durchscheinenden Morgensonne verflüchtet. Vorher habe ich kaum so sternenklare Nächte erlebt oder so beeindruckende Sonnenauf- und -untergänge gesehen. Aufgrund der niedrigen Luftfeuchtigkeit und der minimalen Luftverschmutzung herrschen hier optimale Bedingungen, um den Sternenhimmel zu beobachten. Chile weist mit die höchste Konzentration an Observatorien weltweit auf, vor allem in der Region des Elqui Tals und rund um La Serena (~160 km südlich von Vallenar).
Vor allem die Sonnenuntergänge sind spektakulär. Die fernen Hügel leuchten goldgelb, später wandelt sich die Farbe in ein kräftiges Orange. Das Orange löst sich auf, der Horizont erscheint in einen blassroten Saum und erstrahlt nachher rubinrot, die Wolken färben sich blassrosa. Man könnte meinen, der Tag würde den Abend noch ein letztes Mal blutrot umarmen, bevor es Nacht wird. Es ist ein sich wandelndes Minutenschauspiel von atemberaubender Schönheit, das sich täglich wiederholt. Letztlich verdunkeln sich die Wolken zu einem blassen Grau.
Wir kartieren insgesamt 9 Tage in der Atacamawüste. Ich lerne unglaublich viel in dieser Zeit hinzu, auch über die Geologie von Chile. Am nächsten Tag sortieren wir noch die gesammelten Proben. Aus diesen Proben werden z.B. Dünnschlüffe zum Mikroskopieren angefertigt. Am nächsten Tag geht es wieder zurück nach Concepción. Es steht noch der Kartierbericht an, der größere Teil der Arbeit liegt also erst noch vor uns.
Richtig schön geschriebener Artikel. Man kann sofort nachvollziehen, wie du gereist bist und sich ab und zu ein Schmunzeln nicht verkneifen 😉
Hey Kuno =).
Das ist schön wenn du schmunzeln musst. Vielen Dank für das Lob =)
Hallo Paul, bin bei meinen Recherchen zu unserem geplanten Chile-Urlaub auf Deine Artikel gestoßen. wunderschön geschrieben. Vielleicht können wir uns ja bei Deinem 30. noch den einen oder anderen Tipp abholen.
Gunter
He Gunter,
es freut mich, dass du auf meine Seite gestoßen bist. Wir unterhalten uns nochmal wegen Chile =).
VG, Paul